Loudness War

Je lauter, desto besser?

Gute Songs sind laut. Manchmal sehr laut. Vielleicht auch zu laut. Zugegeben, auch ich neigte früher manchmal dazu, den guten Sound bis aufs äußerste aufzudrehen. Oder zumindest Songs zu hören, die an keiner Stelle nachlassen. Es betrifft nicht die stimmungsgeladenen Balladen, sondern Songs mit Power, mit Groove. Motivierende Songs. Spätestens wenn das Ohr bei anschließender Stille weiter dumpft und wenn sich die feinen Ohrknöchel dem zu lauten Sound aus der Box oder den Kopfhörer angepasst haben, um die Lautstärke zumindest ein bisschen schützend herunter zu regeln, wird es schädlich. Einige kennen dieses Gefühl, wann nach 6 Stunden die Disko schließt. Dass Ohr passt sich weiter an der zu hohen Lautstärke an, obwohl in der Umgebung nur die ersten Vögel zwitschern. Andererseits: Laute Musik gibt Emotionen, einzelne Instrumente klingen viel differenzierter.

Vor noch nicht allzu langer Zeit, in 1980er Jahren, begannen Werbetreibende und die Musikindustrie das Prinzip der Lautheit gezielt zu nutzen. Aber nicht, in dem die Musik etwa immer „lauter“ produziert wurde. Nämlich Lautheit ist nicht gleich Lautstärke. Während die Lautstärke so lange aufgedreht werden kann, bis rein theoretisch die Ohren „platzen“, ist mit Lautheit der persönliche Eindruck gemeint, wie laut oder leise ein Song insgesamt wirkt. Trotz einiger lauter Töne wirken zum Beispiel Liebesballaden oft eher leise. Sie haben dann eine geringe Lautheit. Umgekehrt kann ein Rocksong trotz einer leiseren Strophe insgesamt als ziemlich laut wahrgenommen werden.

Musiker wie Werbetreibende stehen in einem ständigen Wettbewerb. Im Kern geht es um mehr Aufmerksamkeit und eine stärkere Durchsetzung. Wurden Songs früher noch mit viel Dynamik, dass heißt mit großen Unterscheiden und Wechseln zwischen leisen und lauten Stellen produziert, so ist sie in den letzten Jahren mehr und mehr dem loudness war gewichen. Die leiseste Stelle näherte sich etwa durch Kompression der lautesten Stelle immer mehr an, letztlich auf Kosten der Dynamik. Die durchschnittliche Lautheit stieg mit immer neuen Songs, es gab gewissermaßen kein Platz mehr für leise Stellen. Die Lautheit wurde bis zum Maximum ausgereizt. Schließlich war der Sound dann noch eindrucksvoller und diskothekentauglicher.

Technische Begrenzung

Vor dem Hintergrund, dass digitale Tonträger wie die CD einzelne Spitzen in den Tönen technisch nur bis zu einer bestimmten Obergrenze abbilden und wiedergeben können, kann eine übertriebene Lautheit zu Tonverzerrungen und Knacksern führen. Nämlich dann, wenn vor lauter Sound im Mastering ebenjene Grenze bis zum äußersten ausgereizt wird, und die ersten Töne darüber liegen. Dieser Effekt wird Übersteuerung oder auch Clipping genannt. Und er taucht gleich bei einer ganzen Reihe an bekannten Songs verschiedener Genres auf. Metallicas „Death magnetic“ ist so ein Beispiel.

https://www.youtube.com/watch?v=DRyIACDCc1I

In der Fernseh- und Radiowerbung sieht es ähnlich aus. Sie heben sich in ihrer Lautstärke und Lautheit mittlerweile deutlich von den Programminhalten ab. Das war jedoch nicht immer so. Den Richtlinien einiger TV-Sender nach musste die Werbung in den 1980er Jahren einige Dezibel leiser als Programm sein. Heute erschrecken nicht wenige bei plötzlich einsetzender und deutlich lauterer Werbung. Aber immerhin: Deren Aufmerksamkeit ist somit garantiert. Es sind bereits externe Geräte, erhältlich, die Werbeblöcke an TV-Geräten automatisch herunterregeln oder auf einen bestimmten Wert begrenzen.

Und es gibt sie, die Musiker und die Kritiker, die sich dem loudness war zunehmend entgegenstellen. Aktuelles Beispiel:  Im Sommer vorigen Jahres führte der Musikstreaming-Dienst Spotify in ihren Einstellungsoptionen eine Möglichkeit ein, Lautheit zu begrenzen. Songs mit hoher Lautheit werden so automatisch leiser geregelt. Nun, ein gesunder Anfang…