Das hier ist keine Satire

Warum Annalena Baerbock keine Oma ist

Am Freitag war es mal wieder so weit. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) schaltete deutschlandweit eine Anzeigenkampagne, in der Annalena Baerbock, derzeit Spitzenkandidatin der Grünen für den Bundestag, zwei Tafeln mit zehn angeblichen Verboten in die Höhe hält. Bildlich als Moses stilisiert und untertitelt zum Beispiel mit „Wir brauchen keine Staatsreligion“ erschien sie in einer ganzen Reihe seriöser Medien, wie etwa der Süddeutsche Zeitung, der Zeit oder der Frankfurter Allgemeinen. Im Anschluss gab einen breiten (und kalkulierten?) Aufschrei in der Öffentlichkeit. Neben dem Fakt, dass einige der vermeintlichen Verbote unwahre Behauptungen sind, steht die Bildsprache im Fokus, die nicht wenige als antisemitisch einordnen. Es gibt aber auch Gegenrede. Ein Aspekt der kommentierenden Befürworter: „Wie kann man sich über eine Satire dergestalt echauffieren?“. Diesen Satz schreibt zum Beispiel sonntags ein „Siggi“ im Onlineforum des Baerbock-Moses-Artikels bei Spiegel Online. Da werden doch gleich Erinnerungen wach…

„Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau“ hieß es in einem alten Kinderlied mit neuem Text, welches im Dezember 2019 für viel Empörung sorgte. Der WDR-Kinderchor sang es. Und die Oma wurde an Pranger gestellt. Respektlos sei dies. Indoktrinierung sagten andere. Es sei nur Satire verteidigte sich der Chorleiter beim WDR. Von Satire spricht nun auch die INSM, allerdings nicht selbst, sondern via Zitat des Schriftstellers Rafael Seligmann: „Zudem, Kunst und Satire dürfen nicht totgemacht werden“. Die INSM beklagt sich in ihrem Zitat-Tweet, ihre Anzeige „drohte heute falsch verstanden zu werden“. Die Parallelen sind also mehr als auffällig. Oder?

Ja, was denn nun?

Immer dann, wenn es politisch wird, kritisieren die einen, verharmlosen die anderen. So einfach, so platt. Denn zwischen den Baerbock-Tafeln und dem Oma-Lied gibt es doch einen ziemlich großen Unterschied. Das eine ist tatsächlich Satire, das andere gezielte Agenda. Und es hat absolut nichts damit zu tun, dass die Empörung hier die politischen Seiten wechselt. Satire ist Kunst, Satire ist Kritik, Satire verspottet. So weit, so einig. Satire hat viele Gesichter, sie erscheint in Form eines Romans, einer Zeichnung, einer Nachricht, eines Gedichts oder eines … (hier bitte eine beliebige Text- oder Bildsorte eintragen). Kurzum: sie sprengt viele Grenzen.

Deshalb ist es auch so schwierig, sie von anderen sprachlichen oder rhetorischen Darstellungsformen abzugrenzen. Aber dennoch, es gibt sie, die Merkpunkte, die die Unterschiede ins Licht eines öffentlichen Diskurses rücken – oder eigentlich rücken sollten. In den Hauptrollen: die Intention der Sprecherin oder des Schreibers, der Kontext, in dem gesprochen wird und schließlich an wen sich das Gesprochene richtet.

Eins, zwei und drei…

Das Oma-Lied entstand im Auftrag des WDR und wurde auf dessen Facebook-Kanal veröffentlicht. Die Baerbock-Tafeln wurden im Rahmen einer ISNM-Kampagne bundesweit und gezielt in diversen Medien platziert. Während es sich beim WDR um eine staatliche Rundfunkanstalt in der Rechtsform einer gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts handelt, wird die INSM als privatwirtschaftliche GmbH laut eigener Aussage von Arbeitgeberverbänden „der Metall- und Elektro-Industrie“ finanziert. Oder einfacher: Die Ziele des WDR sind journalistischer und die des INSM wirtschaftlicher Natur. Im vierten Paragrafen des WDR-Gesetzes („Programmauftrag“) steht: “Der WDR veranstaltet und verbreitet seine Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung und als Sache der Allgemeinheit.“ Und weiter: „Der WDR hat Beiträge zur Kunst und Kultur anzubieten.“ Bei der INSM steht anderes. „Die INSM ist eine Denkfabrik für marktwirtschaftliche Themen“. Sie fordert konkrete Reformen in der Rente, Bildung und bei den Staatsausgaben („Schuldenbremse“). Kunst, Kultur und ein journalistisches Anliegen sucht unsereiner dort vergebens. Der WDR will die freie Meinungsbildung fördern, der INSM will sie in ihrem Sinne lenken. 1:0 für den WDR.

Nun zum Kontext. Während das Oma-Video kurz nach dem Aufschrei wieder von der Facebook-Seite verschwand und sich einige Beteiligten wahlweise erklärten oder entschuldigten, prangen die Baerbock-Tafeln drei Tage später trotz aller Kritik immer noch forsch im Kopfbereich von der Webseite der INSM. Und nicht nur das. Ihre bundesweite Anzeigenkampagne dürfte auch sehr sehr teuer gewesen sein. Dabei sieht sie sich laut eigener Aussage doch als überparteilich an? Und das so kurz vor der Bundestagswahl? Generell scheinen ihre Kampagnen vorzugsweise nur die ihr missliebige Hälfte des politischen Spektrums zu treffen. Das Oma-Video hingegen war kein Teil einer Kampagne, und Namen oder Köpfe aus der Politik sucht unsereiner dort vergebens. Es sollte der kritischen Unterhaltung dienen. 2:0 für den WDR

Wäre da noch drittens: Während es ganz viele unbestimmte „Omas“ auf der Welt gibt, bleibt es bei exakt einer Kandidatin Annalena Baerbock. Es gibt sie in der Form nur einmal. Die Kampagne des INSM zielt auf eine ganz konkrete Person ab, während jede Frau für sich entscheiden muss, ob sie sich ganz konkret mit ebenjener „Oma“ angesprochen fühlt oder eben nicht. Game Over, INSM!

Bei dem OMA-Video handelt es sich ganz klar um Satire. Auch wenn sie vielleicht in ihrer Form misslungen sein sollte. Die INSM hingegen betreibt politische PR. Sie will nicht bloß unterhalten, oder den gesellschaftlichen Diskurs anregen, sondern das Ergebnis der Bundestagswahl in ihrem Sinne beeinflussen.

 

Links / Baerbock-Tafeln

https://www.fr.de/politik/gruene-neoliberale-lobbyorganisation-anzeige-gezieltem-angriff-annalena-baerbock-hetze-propaganda-antisemitismus-insm-90799992.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/moses-kampagne-gegen-annalena-baerbock-die-populistische.1013.de.html?dram:article_id=498704

https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/annalena-baerbock-arbeitgeber-kritisieren-initiative-neue-soziale-marktwirtschaft-a-09bb9649-f3cc-4c7a-80d8-7a53b9ecdc8f

https://www.deutschlandfunk.de/initiative-neue-soziale-marktwirtschaft-kritik-und.1939.de.html?drn:news_id=1268984

 

Links / Oma-Lied

https://www.merkur.de/politik/wdr-kinderchor-tom-buhrow-brandbrief-oma-umweltsau-video-lied-klimaschutz-shitstorm-morddrohung-zr-13372644.html

https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_87068570/-umweltsau-lied-der-eigentliche-skandal-ist-das-krisenmanagement-des-wdr.html

https://www.welt.de/newsticker/news1/article204641890/Kinder-Empoerung-ueber-Video-von-WDR-Kinderchor-mit-Lied-Meine-Oma-ist-ne-alte-Umweltsau.html

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