Eigentlich ist doch alles klar. Was schön ist, das muss per Definition auch bei anderen Menschen schön wirken. Leuchtet die Tomate nicht frischrot, so kaufen wir sie nicht. Lächelt ein vom Leben gezeichneter 84-jähriger mit zerfurchtem Gesicht unter Palmen und einem traumhaften Strand mit Sommer-Sonnen-Wetter, so empfinden das viele ebenfalls als nicht passend und damit nicht schön. Ob die Reise dann von jungen Menschen gebucht wird? Doch eher, wenn braungebrannte und sportlich austrainierte Jugendliche auf dem Plakat ihren Spaß haben. Dass Ästethik also das Maß aller Dinge ist und auf andere genau so wirkt, wie bei uns selbst, ist doch logisch, oder?
Die sauberste, rundeste und roteste Tomate ist die Schönste. Dass sagen die meisten. Und es fällt immer abends im Supermarkt ins Auge, wenn nur noch wenige Tomaten in der Kiste liegen. Schließlich steht das leuchtende Rot für Vitalität und Geschmack. Auch wenn solche Faustregeln nicht immer zwangsläufig zutreffen, geschweige denn mit Logik zu tun haben, gelten sie doch gemeinhin als sicheres Indiz für unsere ästhetische Empfindung. Die ideale Welt, die bei jedem von uns wie in Film im Kopf abläuft, ist das Maß aller Schönheit. Wir erwarten sie regelrecht! Jugendliche wissen bereits vor ihrem Urlaub, was sie wollen. Bestimmt nicht die Langeweile, die sie mit Senioren assoziieren. Schönheit speist sich aus dem, wer wir sind und wer wir sein wollen.
Aber wer sind wir und wer wollen wir eigentlich sein? Nach Freiheit strebende Menschen sehnen sich vielleicht nach der wilden Natur. Sie unternehmen ausgedehnte Backpacker-Adventures in menschenleere Gebiete. Eben diese Gebiete empfinden sie als ästhetisch: Weite Braun- und Grüntöne sowie ein unendliches Blau. Keine geometrischen Luxus-Hotel-Anlagen in Pastelltönen. Eine Jugendliche, die Justin Bieber nacheifert, wird damit allerdings wenig anfangen können. Zu langweilig! Für Gothic‘s zählt hingegen Schwarz als die Non-plus-Ultra-Farbe. Sie symbolisiert ihr Lebensgefühl, etwa im Gegensatz zu Alt-Rosa.
Frage der sozialen Zugehörigkeit
Ästhetik ist eine Frage der sozialen Zugehörigkeit. Wer wir sind und wem wir nachahmen, definieren wir über das soziale Milieu dem wir angehören. Jeder von uns gehört mindestens einem dieser Milieus an. So lassen sich etwa berufliche Milieus (z.B. Ingenieure), musikalische Milieus (Rock, Jazz usw.) oder wertorientierte Milieus (z.B. Intellektuelle, Traditionelle, …) voneinander unterscheiden. Mensch denke dabei zum Beispiel nur an die Berufs-Ästhetik von Managern oder an die sich ständig erneuernde Lifestyle-Avantgarde. Kulturen unterscheiden sich ebenfalls in ihrer Ästhetik. Wir empfinden die Farben, Formen und Symbole als besonders schön, die zu unserem Milieu und unserem Selbstbild passen. Ganz einfach, weil wir uns dadurch als zugehörig fühlen. Aber auch weil wir keine Außenseiter sein wollen.
Ob ein Plakat, eine Architektur, eine Wintermode oder der Wohnzimmerschrank schön wirkt, unterscheidet sich von Person zu Person, von Milieu zu Milieu, von Kultur zu Kultur. Bei der Beurteilung von Schön und Hässlich schließen viele Menschen von sich aus auf andere. Was bei ihnen wirkt, muss auch bei anderen wirken. So zumindest die Annahme.
Nein, das stimmt nicht! Ästhetik wirkt von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich. Auch ist sie besonders aus den ersten Blick eben nicht das Maß aller Dinge. In Werbung wird mit Störern gearbeitet, sprich grafische Elemente in der Werbung, die in ihrer Gestaltung so ganz und gar nicht zu ihrer Umgebung passen. Sie fangen erst durch ihre gezielte Unschönheit die Blicke ihrer vor lauter ästhetischer Werbung überlasteter Betrachter. Auch Warnschilder sind in ästhetischer Hinsicht manchmal eine gestalterische Katastrophe. Aber: Sie funktionieren – gerade deshalb, weil hier die Wirkung im Vordergrund steht. Beispiele gefällig? Grelle „Preisreduziert“-Aufkleber, „Ritter-Sport-Schokolade“ auf den Treppen am Kölner Hauptbahnhof, Couch im Nivea-Blau samt Logo und Slogan oder die bekannten grünen „Exit“-Schilder. Schönheit ja, aber nur wenn sie auch wirkt. Ästhetisch ist viel. Und Schönes wirkt nicht immer.